Problemerfassung
Die Hauptfaktoren der aktuellen Wohnungsnot sind neue Gesetzgebungen, neue Entwicklungen aus den Pandemie-Jahren und grundlegend: die Struktur des bestehenden Wohnraums. Je nach örtlicher Gegebenheit überlagern sich diese Grundprobleme unterschiedlich. Folgende Übersicht dient dem Grundverständnis dieser Faktoren:
Struktur des Wohnungsbestandes
- Der Erstwohnungsbestand ist in allen Gemeinden klein und unterschreitet lokal sogar die 30% Grenze.
- Erstwohnungen unterscheiden sich in:
- Erstwohnungen gemäss ZWG seit 2012,
- Erstwohnungen aus Kontingentszeiten (Entlassung je nach Gemeinde nach z.B. 20 Jahren)
- und Erstwohnungen die sich im altrechtlichen Bestand befinden.
- Das Bundesamt für Raumentwicklung ARE veröffentlicht regelmässig die Zweitwohnungsbestände
- Eine Zusammenfassung dieser Daten für die Gemeinden des Oberengadins steht hier zur Verfügung
Fazit: Mit der Zweitwohnungsinitiative wurde die Erfassung der Wohnungs-Art verpflichtend: 1. oder 2. Wohnung. Nicht erfasst wird jedoch, wie viele Wohnungen als "Altrechtlich" gelten. Es ist anzunehmen, dass dies über 90% sind, denn es betrifft alle Wohnungne die vor 2012 bewilligt wurden. Ebenso ist unklar wieviele altrechtliche Wohnungen als Erstwohnungen genutzt werden. Gerade diese Wohnungen stehen bzgl. Wohnraumstruktur aber im Fokus, weil deren Zahl für die Einschätzung der Problematik relevant ist: sie können jederzeit zu Zweitwohnungen umgenutzt werden.
Zweitwohnungsgesetz (ZWG)
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Die Zweitwohnungsinitiative hat die Gemeinden dazu bewogen, teils funktionierende Massnahmen zugunsten Erstwohnungen nicht mehr umzusetzen (Kontingentierungen).
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Das Zweitwohnungsgesetz wird im Oberengadin dahingehend interpretiert, dass aus altrechtlichen Wohnungen generell Zweitwohnungen erstellt werden dürfen. Dies ist dann in Frage gestellt, wenn der Zweitwohnungsanteil in einer Gemeinde weiter zunimmt - sinngemäss Bundesverfassung Art. 75b, ein Präzedenzurteil am Bundesgericht gibt es hierzu nicht.
Fazit: Der Druck auf altrechtliche Wohnungen ist immens gestiegen, im Oberengadin ist von einer Wohnungsnot die Rede. Folgen: Abwanderung trotz möglicher Bevölkerungszunahme, fehlende Arbeitskräfte (insb. CH mit Qualifikation), täglich ausgeprägte Pendlerströme über Maloja- und Berninapass, Rückgang „natürlicher“ Steuergelder - Zunahme bei Handänderungssteuern, angespannte Stimmung am Wohnungsmarkt.
Raumplanungsgesetze (RPG 1 & 2)
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Seit den 70er Jahren sind alle Gemeinden angehalten das Bauland im Zonenplan festzuhalten, nur was eingezont ist, darf bebaut werden. Will eine Gemeinde neues Bauland, muss sie dies beim Kanton beantragen.
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Der Handlungsspielraum der Gemeinden ist durch die Raumplanungsgesetzgebung eingeschränkt. Zuletzt durch das RPG2, nach dem die "Innere Verdichtung" anzustreben ist, also die Verwendung von Baulandreserven innerhalb des Ortes.
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Mit der RPG Gesetzgebung ist Bauland nur noch in beschränktem Masse vorhanden, auch neues. Der Baulandbedarf wird durch die Bevölkerungsentwicklung vergangener Jahre definiert und gilt im Oberengadin als stagnierend bis abnehmend.
Fazit: In den letzten 20 Jahren ist die Bevölkerung im Kanton Graubünden gewachsen. In einigen Talschaften war die Bevölkerung aber stabil bis abnehmend, so z.B. im Calancatal aber auch im Oberengadin. Die Gründe sind unterschiedlich: während sich abgelegene Täler schleichend entvölkern gibt es andernorts keinen Wohnraum um neue Leute aufzunehmen. Dies führt nun dazu, dass bald auch kein Bauland mehr zur Verfügung steht.
Ortsunabhängige Arbeitsweisen
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Durch die Pandemie hat sich die Problematik mutmasslich verschärft, dies weil sich zunehmend ortsunabhängige Arbeitsweisen durchgesetzt haben. Folglich nahmen Mehrfachwohnsitze bzw. «Zweitheimische» zu.
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Diese Entwicklung gilt wiederum als Potential: Wissenszufluss statt sogenanntes «brain drain», soziale Durchmischung.
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Wenn Zweitwohnungen neu dauerhaft bewohnt werden, gibt es generell mehr warme Betten, mehr Konsum und Leben im Dorf.
Fazit: Für eine gesunde Arbeitsmarktentwicklung ist eine diverse Aufstellung vorteilhaft, so soll es Arbeitsplätze für alle Bildungsstufen geben. Während der pandemischen Jahren wurde einerseits mehr Erstwohnungsraum benötigt, andernseits mehr Zweitwohnungen als Wohnsitz genutzt. Für die Gemeinden besteht hier Potential, insbesondere wenn das heimische Gewerbe mitwirken kann.